Acht Fragen an unsere Chefredaktorin,
Larissa M. Bieler

Interview: Nina Hübner, Kommunikation + Marketing

Larissa, seit dem 1. Januar 2016 bist du Chefredaktorin von swissinfo.ch. Du orchestrierst zehn Sprachen, über 70 Journalistinnen und Journalisten und setzt Akzente durch den Einsatz unterschiedlicher Formate. Ohne Zweifel eine grosse Herausforderung! Bevor du zu swissinfo.ch gekommen bist, warst du Chefredaktorin beim Bündner Tagblatt und hast dem Traditionsblatt einen frischen, moderneren Anstrich verliehen.

Welchen Anstrich möchtest du swissinfo.ch geben?


Die zehn Sprachen sind bereits ein einzigartiger USP von swissinfo.ch, und wir haben die Qualität, gute Hintergründe zu erarbeiten, damit die aber auch gelesen werden, müssen die Leute sehr konkret wissen, was sie von uns erwarten können. Wir können uns schärfer und kontinuierlicher über einzelne Themen und Dossiers profilieren. Und wir müssen lernen zu verzichten. Hier sehe ich viel Potenzial in der Positionierung.

Was war im 2016 die grösste Herausforderung für dich?

Die grösste Herausforderung, und sie wird es auch im 2017 bleiben, ist sicherlich die komplexe Struktur von zehn Sprachredaktionen, die relativ autonom gearbeitet haben, die strikten Hierarchien der Linien und das enge publizistische Korsett, das man sich gab und in dem man gearbeitet hat. Entscheiden sollte die kompetenteste Person und es muss mehr debattiert werden. Das Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen den Departementen wieder zu stärken, das fachübergreifende Wissen zu nutzen, um die einzigartige Internationalität in unserem Haus auch im Angebot zu spiegeln. Das hebt uns ab.
Die Zusammenarbeit zwischen den Redaktionen hinsichtlich bestimmten Schwerpunkt-Themen wie beispielswiese ‘Islam in der Schweiz’ oder auch zum Thema ‘Expats in der Schweiz’ geht gut voran, hier braucht es nun die Impulse aus den Redaktionen.

swissinfo.ch darf ein sehr heterogenes Zielpublikum mit Informationen bedienen. Auf Bedürfnisse aus mehr als zehn verschiedenen Kulturkreisen muss unsere Berichterstattung eingehen. Wie gelingt swissinfo.ch dieser Brückenschlag?

Dafür muss ich nun ein wenig ausholen. swissinfo.ch ist eine spannende Herausforderung, da wir eine sehr heterogene, fragmentierte und distanzierte Öffentlichkeit in der ganzen Welt ansprechen wollen. Wir nennen sie nicht mehr Zielpublika, sondern sprechen von Communitys, die sich über Sprach- und Kulturräume oder, eben wie oben erklärt, über Interessen oder Themen definieren. Das Gemeinsame ist entweder über die Sprache oder die Kultur gegeben wie beispielsweise für die japanische oder chinesische Redaktion, oder wir müssen das gemeinsame Interesse zuerst finden und definieren und die Community aktivieren, wie bei der Fachredaktion zur ‘Direkten Demokratie’. Es gibt aber auch bereits existierende Communitys wie beispielsweise die Grenzgänger im Tessin, Genf oder in Basel oder auch die Auslandschweizer, diese sind für uns natürlich eine besondere Chance, da sie geschlossen ansprechbar sind. Klar ist: Jede Community muss spezifisch angesprochen werden, das heisst, der Stil, die Formate, die Erzählweise unterscheiden sich, Chinesen und Briten haben andere Vorlieben. Darum arbeiten bei uns auch Journalisten, die aus den Sprachregionen stammen und diese kennen. Bei der geschlossenen Community der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer läuft der Brückenschlag über Nähe, Dialog und einen emotionalen Bezug, den wir über den Hashtag #WeAreSwissAbroad herstellen. In der Communityarbeit entlang der Themen kommen wir näher zu unseren Leserinnen und Lesern und ermöglichen Identifikation und Engagement. Das ist ein Paradigmawechsel für swissinfo.ch. Journalistisch bedeutet dies auch, dass die Redaktionen für die zielgerichtete Communityarbeit nebst dem Pflichtstoff auch die Freiheit haben müssen, eigenständiger, unmittelbarer, mutiger, überraschender, weniger institutionell zu berichten.

Der direkte Bezug zur Leserschaft ist swissinfo.ch sehr wichtig. Mit einem aktiven Community Building soll der Dialog mit den Usern gefördert werden. swissinfo.ch will wissen, was das Zielpublikum wünscht. Wir haben unsere Besucherinnen und Besucher via Facebook und Twitter gebeten, uns ihre Fragen an dich, Larissa, zu übermitteln.

Hier eine Auswahl aus der Facebook-Community:

Oliver Hegglin möchte wissen: How is it decided what is and is not reported, who makes these decisions, and how do you justify not reporting something?


Wenn es um hintergründige Themen geht, die in allen Sprachen adaptiert werden, dann entscheiden alle Redaktionen an der Planungssitzung am Dienstagnachmittag im Dialog über Vorschläge der Journalistinnen und Journalisten. An der täglichen Morgensitzung sind ebenfalls alle Redaktionsleiter beteiligt, es wird jeweils über die Themen gesprochen, die in einem kürzeren Zeitraum publiziert werden und einen aktuellen Diskurs in der Schweiz mit einem spezifischen Fokus abdecken. Hier behält sich die Chefredaktion vor, ein Thema auch als obligatorisch zu deklarieren wie bspw. für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Dies geschieht dann, wenn es Kernthemen sind. Die einzelnen Sprachdepartemente haben zudem immer die Möglichkeit, Themen selbst zu bestimmen, sie sind die Experten für ihre Communitys und ihre Sprachregionen. In diesem Fall entscheidet der Redaktionsleiter. So setzt sich das gesamte redaktionelle Angebot von swissinfo.ch zusammen.
Wie wir uns rechtfertigen, für Informationen, die wir nicht liefern? Als Journalisten kennen wir die Schweiz und können priorisieren, welche Informationen relevant und welche nur Nice-to-Have sind. Das englische Departement verfügt zudem über ein Newsdesk, das ähnlich einer Agentur in der Lage sein muss, die wichtigsten Informationen des Tages aus der Schweiz in die Welt zu senden.

David Cranford fragt: Why do you base your articles on your political views?

Das ist eine Suggestivfrage, sie suggeriert, dass wir nicht objektiv berichten. Das kann ich nur dementieren. Wie alle SRG-Medienhäuser sind wir verpflichtet, unabhängig, ausgewogen, fair und sachgerecht zu berichten. Unser Angebot basiert auf den Grundwerten der liberalen demokratischen Gesellschaft, wie sie in der Bundesverfassung und internationalen Zusatzverträgen festgehalten ist. Dies umfasst u.a. den Respekt für demokratische Institutionen und Prozesse, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Respekt vor Minderheiten, Menschen- und Völkerrecht. Unabhängigkeit ist das wichtigste Gut im Journalismus, auch in der Schweiz ist dies leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Wir sind uns dessen bewusst, das ist ein Privileg und wir handeln entsprechend.

Emanuel Adair Boder stellt dir folgende persönliche Frage: Which political party does she vote for?

Journalisten sollten nicht Mitglieder einer Partei sein, sie berichten unabhängig. Es macht mir keine Mühe, nicht im Rechts-links-Schema zu denken, ich wähle auch keine Partei, sondern stimme über Sachfragen ab. Ich würde mich als konservativ im Sinne der Einbindung von kulturellen ethischen Grundwerten bezeichnen, und man sollte nicht jede Neuheit kritiklos übernehmen. Liberal, weil ich eigenverantwortlich und zuversichtlich nach vorne schaue, und sozialdemokratisch, wenn es um den Schutz von Minderheiten oder die Schere zwischen Arm und Reich geht. Mir fehlt das klare politische Profil.

Und Marcel Ackle thematisiert Folgendes:
Love the comments here...
Reminds me of Nestlé asking online how people think about them....  :-)
What does SWI think about Nestlé and the water thematic and Brabecks ”access to water should not be a human right”?
Are you allowed to think and publish critical or do you just publish what you are told to do?

Niemand sagt uns, was wir zu tun haben und über was wir berichten, wir sind unabhängig und das ist selbst in der Schweiz heute ein Privileg. Uns stehen alle Möglichkeiten zur Berichterstattung offen. Wir können Situationen, Gegebenheiten, Ereignisse durchaus kritisch beleuchten, was wir aber nicht tun, ist zu werten. Wir analysieren, wir zeigen auf und bieten den Leserinnen und Leser eine möglichst objektive Grundlage, sich eine eigene Meinung zu bilden. Was jeder von uns persönlich über Nestlé denkt, spielt hier keine Rolle und interessiert in unserem Job nicht. Wir können Zitate aber thematisieren, Situationen beleuchten, das ist unsere Verantwortung.

Und über Twitter erreichte uns folgende Frage von AL-Awaji: @swissinfo_en why not all the languages of @swissinfo doesn‘t publish the reports at the same day?? And some stories aren‘t covered at all?

Weil wir Rücksicht auf unsere Zielgruppen nehmen, die überall auf der Welt zu unterschiedlichen Zeiten schlafen oder eben Informationen konsumieren. Aber nicht nur die Zeitverschiebung ist ein Argument, die Redaktionen haben unterschiedliche Tempi. Das englische Departement hat ein Newsdesk, da werden wichtige Informationen unmittelbar publiziert. Die Redaktion Schweiz, die in den Nationalsprachen arbeitet, bedient die umliegenden Nachbarstaaten, die näher an den Schweizer Diskursen dran sind, auch hier müssen Aktualitäten zeitnah publiziert werden. Für die chinesische oder arabische Community aber beispielsweise spielt es hingegen keine Rolle, ob sie nun heute oder morgen oder übermorgen lesen können, dass die Schweiz nun auch selbstfahrende Züge testet oder 500 Jahre Reformation feiert. Das Publikationsdatum ist aber auch abhängig vom Ereignis. In Katastrophenfällen wie beispielsweise einem Erdbeben haben wir die Pflicht, sofort zu informieren. Zur zweiten Frage verweise ich gerne auf die Antwort oben.

Herzlichen Dank für den Einblick, den du uns in deine Arbeit und in swissinfo.ch gegeben hast. Egal, in welcher Farbe der Anstrich weitergeht, spannend bleibt es bei swissinfo.ch auf jeden Fall.